Die Wahl rückt näher und wie immer versuchen die Parteien, einander mit Wahlzuckerln zu überbieten. Die Kosten sind längst ausgerechnet und es sollte allen klar sein, dass nur ein Bruchteil dieser Geschenke finanzierbar ist. Oder man muss das Geld halt wo anders rein holen. Darüber wurde zwar schon in allen Medien sehr viel geschrieben, Spuren in den Wahlkampfzentralen hat das aber nicht hinterlassen.
Ein Blick auf die aktuellen Wahlversprechen bringt mir die „Lehren von Tanaland“ in Erinnerung, die der deutsche Kybernetiker Frederic Vester schon vor über 20 Jahren beschrieben hat (Vgl. „Neuland des Denkens“, dtv, 1984). „Tanaland“ war ein frühes Computer-Simulationsspiel (entwickelt in den 70er-Jahren vom Bamberger Psychologen Dietrich Dörner), in dem Versuchspersonen unterschiedlicher Fachrichtungen in eine virtuelle Gesellschaft eingreifen konnten. Sie konnten Infrastruktur beeinflussen, Medizin- und Bildungssysteme verändern, bestimmen, welche landwirtschaftlichen Produkte angebaut werden und so fort. Inzwischen gibt es ja dutzende solcher Spiele für den Hausgebrauch.
Sechs Fehler wurden bereits damals als typisch für menschliches Verhalten identifiziert. Und es ist durchaus lehrreich, die aktuellen Versprechen (Mehrwertsteuersenkung, Abschaffung der Studiengebühren oder – diese Forderung schafft besonders viele „Punkte“ – staatliche Regelung des Benzinpreises) nach diesen Kriterien zu analysieren.
1. Fehler: Mangelhafte Zielerkennung
Man neigt dazu, ein System „abzugrasen“ bis man einen (vermeintlichen) Missstand gefunden hat und widmet sich dann voll und ganz der Reparatur dieser einen Stelle. Vester nennt das auch „Reparaturdienstverhalten“. Die große Linie (sofern es eine gibt), gerät dabei leicht aus dem Blickfeld.
2. Fehler: Beschränkung auf Ausschnitte der Gesamtsituation
Es werden zwar große Datenmengen gesammelt, lange Listen erstellt, aber die Beziehung der Daten zueinander wird nicht thematisiert, die Dynamik des Systems bleibt daher unerkannt.
3. Fehler: Einseitige Schwerpunktbildung
Wird ein Schwerpunkt richtig erkannt, neigt man dazu, sich darauf zu versteifen. Gravierende Konsequenzen in anderen Bereichen bleiben unbeachtet. Das führt uns direkt zum
4. Fehler: Unbeachtete Nebenwirkungen
Im Streben nach geeigneten Maßnahmen zur Systemverbesserung geht man sehr „zielstrebig“ vor, geradlinig nach einem ziemlich einfachen Ursache-Wirkung-Denken. Diese eindimensionale Sicht verstellt den Blick auf die (nicht thematisierten) Nebenwirklungen jeder Maßnahme, die nicht analysiert werden, jedoch später für unliebsame Überraschungen sorgen.
5. Fehler: Tendenz zur Übersteuerung
Häufig geht man zu Beginn nur zögerlich vor – und es tut sich nichts, das System zeigt keine Reaktion. Nur allzu menschlich, dass man dann kräftig eingreift. So kommt es auch zu unerwünschten Rückwirkungen und man steigt kräftig auf die Bremse.
6. Fehler: Tendenz zu autoritärem Verhalten
Die Macht, ein System verändern zu dürfen und der Glaube, es durchschaut zu haben, führen zu diktatorischem Verhalten. Für komplexe System ist das aber ungeeignet, nur ein – wie Vester es nennt – „anschmiegsames Verhalten“ mit wohl dosierten Eingriffen (und der nötigen Zeit, diese wirken zu lassen), führt langfristig zu Erfolg.
Das Experiment von „Tanaland“ hat stets nach vorübergehenden Verbesserungen zu Katastrophen und Hungersnöten in der virtuellen Gesellschaft geführt. So schlimm wird es in Österreich nicht kommen, auch wenn aus wahltaktischen Überlegungen übereilt so manches Wahlzuckerl noch vor dem 28.9. umgesetzt werden sollte.
Doch man darf jetzt schon gespannt sein, auf welche Bremse die „Wachtelei-Koalition“ steigen wird, sollte die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel tatsächlich halbiert werden und die Erfinder dieser Maßnahme dann drauf kommen, dass dadurch die Preise nicht nachhaltig gesenkt wurden, die Inflation weiter hoch bleibt, dem Staat aber das Geld für andere – vernünftigere – Maßnahmen fehlt.
Sonntag, September 14, 2008
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